| Veranstaltung: | Landesparteitag S-H November 2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 21 Anträge |
| Antragsteller*in: | Catharina Johanna Nies (KV Flensburg) |
| Status: | Eingereicht |
| Angelegt: | 24.10.2025, 23:02 |
A34: Bei Gewalt an Frauen im digitalen Raum konsequent ermitteln – Einführung einer neuen Zentralstelle beim BKA
Antragstext
Der Landesparteitag möge beschließen:
Neuere journalistische Recherchen, beispielsweise von STRG_F[1], zeigen nicht
nur eindrücklich die Dimension auf, mit der sexualisierte Gewalt an Frauen durch
nahestehende Personen – also im häuslichen Kontext – verübt wird, sondern auch,
dass diese Taten unter Einsatz von Betäubungsmitteln erfolgen sowie über
digitale Netzwerke (z.B. telegram-Gruppen) angekündigt, beworben und mit einer
digitalen Öffentlichkeit in Form von Bild-, Ton- und Videomaterial geteilt
werden. Das Hochladen im Internet, die massenhafte Verbreitung auf Plattformen
wie Telegramm mit millionenfachen Aufrufen und Kommentaren vergrößern noch das
Leid, dass die Opfer erfahren.
Erst im letzten Jahr erschütterte die gerichtliche Aufarbeitung der
jahrzehntelangen Vergewaltigungen an Gisèle Pelicot ganz Frankreich und brachte
das Thema sexualisierte Gewalt verstärkt in die Öffentlichkeit. Auch sie wurde
Opfer einer sog. „chemischen Unterwerfung“, die Taten wurden durch ihren Ehemann
filmisch dokumentiert und das Vergewaltiger-Netzwerk um ihren Ehemann herum
bildete sich im digitalen Raum. Die (Mit-)Täter fanden sich über eine nicht
moderierte Online-Chat-Seite (Coco.gg) und verabredeten sich dort zu den
Verbrechen. Für ihren großen Mut, der auch andere Opfer bestärkt, an die
Öffentlichkeit zu gehen, gebührt Giséle Pelicot Dank und Anerkennung. Viele
Frauen schaffen dies aus nachvollziehbaren Gründen nicht. Sie gilt es, zu
ermutigen und, wo immer dies möglich ist, bestmöglich zu unterstützen.
Die benannten Taten haben gemeinsam, dass die Täter*innen – überwiegend Männer –
ihnen nahestehende Frauen vergewaltigen (häusliche Gewalt) und über den
digitalen Raum weiteren Täter*innen "anbieten" oder Mittäter*innen an der Gewalt
systematisch digital teilhaben lassen. Die Mittäterschaft und Beteiligung
digitaler Netzwerke an den Taten spielen für dieses Gewaltphänomen also eine
übergeordnete Rolle.
Alle an der Gewalt mittel- oder unmittelbar beteiligten Personen müssen
ermittelt und strafrechtlich verfolgt werden, um eine Ausbreitung dieser
systematischen sexualisierten Gewalt im Netz Einhalt zu gebieten.
Diese häusliche und sexualisierte Gewalt ist im digitalen Raum häufig schwierig
zu ermitteln und einem polizeilichen und staatsanwaltlichen
Zuständigkeitsbereich zuordnen. Auch, weil die Taten häufig sehr bewusst
verschleiert werden, auf bestimmte Seitens ins Darknet verlagert oder VPN-Server
benutzt werden.
Die Gewalt wird zunächst im digitalen Raum sichtbar, kann also zunächst keinem
physischen Tatort zugeschrieben werden. Dieser ist aber relevant für die Frage,
bei welcher Polizeibehörde die Ermittlungsbefugnis und Ermittlungszuständigkeit
liegt.
Außer in spezifischen Ausnahmefällen liegt die Zuständigkeit in der Regel bei
derjenigen Landespolizei in dessen Zuständigkeitsgebiet der Tatort liegt. Bei
Gewalt im digitalen Raum ist es deshalb schwieriger eine klare Zuständigkeit zu
benennen. Die Ermittlung beginnt zunächst in dem Bundesland, in dem eine Anzeige
gestellt wird. Ein Ausnahmefall ist die „Zentralstelle für die Bekämpfung von
Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“, die seit den 90er
Jahren beim Bundeskriminalamt(BKA) angesiedelt ist und insbesondere gegen
Missbrauchsdarstellungen im Internet ermittelt. Im Phänomenbereich des sexuellen
Missbrauchs an Kindern hat das BKA eine sog. Zentralstellenfunktion. Die Aufgabe
der Strafverfolgung wird hier zentral gebündelt, um die Landespolizeibehörden zu
entlasten, doppelte Ermittlungen zum gleichen digitalen Sachverhalt zu vermeiden
und effizienter international kooperieren zu können.
Gerade in den oben beschriebenen Fällen ist in der Regel nicht davon auszugehen,
dass die Betroffenen die Gewalttat selbst zur Anzeige bringen. Aufgrund der
Betäubung werden sie in den seltensten Fällen davon Kenntnis erlangen.
Vielmehr sind die Betroffenen darauf angewiesen, dass konsequent von Amts wegen
durch die Strafvollverfolgungsbehörden im Kontext digitaler Gewalt ermittelt
wird. Dabei dürfen ungeklärte Ermittlungszuständigkeiten, wie in dem jüngsten
Fall der mutmaßlich jahrelangen systematischen Vergewaltigung einer Frau durch
ihren Ehemann in Niedersachsen (siehe „STRG_F-Recherche“) kein Grund dafür sein,
dass Gewalttaten nicht umgehend geahndet werden. Hinter jedem Bild und hinter
jedem Video einer Vergewaltigung im Netz besteht das Risiko anhaltender
sexualisierter Gewalt.
Wir müssen Frauen konsequent vor Gewalt schützen – auch wenn sich diese im
digitalen Raum abspielt. Die Ermittlungsbehörden benötigen hierfür die
erforderlichen Befugnisse, Instrumente und vor allem ausreichend Personal.
Sexualisierte Gewalt ist keine Privatsache – auch nicht, wenn sie zuhause durch
nahestehende Personen stattfindet. Und häusliche Gewalt geht oft mit
sexualisierter Gewalt einher.
Gewalt durch nahestehende Personen ist häusliche Gewalt, auch wenn diese digital
abgebildet wird und die ermittelnden Behörden zunächst nur einem digitalen
Tatort nachgehen können. Der Anwendungsbereich des Gewalthilfegesetzes muss sich
also auch auf diese Gewalttaten erstrecken.
Der Landesverband Bündnis 90/ Die Grünen SH wird sich in diesem Sinne dafür
einsetzen, dass Gewalt an Frauen auch im digitalen Kontext konsequent ermittelt,
geahndet und bekämpft wird.
Wir setzen uns im speziellen dafür ein, dass
- das Bundeskriminalamt im Kontext Gewalt im digitalen Raum mehr Befugnisse
und entsprechende Ressourcen erhält. Insbesondere soll hierfür neben der
bestehenden „Zentralstelle für die Bekämpfung von Sexualdelikten zum
Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ auch eine „Zentralstelle für die
Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt wie Sexualdelikten gegen
Frauen im Netz“ aufgebaut werden. Diese muss eng mit den Landespolizeien
kooperieren. Erfahrungen über Erfolg und Hemmnisse der
Ermittlungsstrukturen und -ressourcen im Kontext sexualisierter Gewalt an
Kindern und dessen Darstellung im Netz sollen Berücksichtigung finden.
Damit sollen dort zentrale Ermittlungsbefugnisse abgesichert werden, um
die Nachverfolgung sexualisierter Gewalt an Frauen im digitalen Raum zu
erleichtern und die Strafverfolgung gegenüber allen intensivieren zu
können, die an den Gewalttaten beteiligt sind.
- konkrete politische und rechtliche Schritte getätigt werden, um die
polizeiliche Zuständigkeit zwischen den Ländern bei entsprechenden Fällen
schnellstmöglich zu klären, Ermittlungsbefugnisse klar zuzuordnen und
dadurch bestehende Zuständigkeitslücken schnellstmöglich zu schließen,
insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.
- solange keine zentrale Stelle beim BKA eingesetzt ist, die
Staatsanwaltschaften und Polizeien in allen Bundesländern in die Lage
versetzt werden, entsprechenden Hinweisen nachgehen und ermitteln zu
können. Hinweise wie im „STRG_F“-Fall dürfen künftig nicht mehr ins Leere
laufen. Die Mitarbeiter*innen vonn Justiz und Strafverfolgungsbehörden
müssen dazu verpflichtend fortgebildet werden.
- systematische Lücken im Strafrecht geschlossen werden; hierfür soll u.a.
die politische Initiative aus dem Bundesrat vom Juni 2025 mit dem Ziel den
Einsatz von Betäubungsmitteln, sog. KO-Tropfen bei Sexualdelikten, mit
einem höheren Strafrahmen zu versehen, unterstützt werden. Die Verzögerung
dieses wichtigen Gesetzesvorhabens durch die Absetzung von der
Tagesordnung des Deutschen Bundestages durch die regierungstragenden
Fraktionen kritisieren wir stark.
Wir werden uns auf Bundesebene für eine schnelle Umsetzung einsetzen.
- die Aufklärung und der Schutz potenziell gefährdeter Gruppen vor Gewalt
unter dem Einsatz von Betäubungsmitteln auf Bundes-, Landes- und
kommunaler Ebene vorangetrieben werden. Dies schließt regionale Zugänge
zur Rechtsmedizin ein sowie öffentliche Informationen zum Thema Einsatz
und Schutz vor K.O.-Tropfen sowohl im Club als auch im häuslichen Kontext.
Die Spurensicherung soll alle Möglichkeiten umfassen, den Einsatz von
Betäubungsmitteln insbesondere KO-Tropfen festzustellen, so auch die
Testung von Haaren, da ein Nachweis über Blutproben aufgrund der kurzen
Nachweisbarkeit kaum möglich ist.
- Richter*innen, Staatsanwält*innen, Polizeibeamt*innen und medizinischem
Personal für die Möglichkeit, dass K.O.-Mittel zu einem Blackout geführt
haben könnten sensibilisiert werden. Dies ist insbesondere angesichts der
kurzen Nachweisbarkeit der Mittel wichtig, um auf eine rasche Sicherung
von Beweisen hinzuwirken.
- im Zuge der Umsetzung des Gewalthilfegesetzes in Schleswig-Holstein auch
geschlechtsspezifische Gewalt über und im digitalen Raum verstärkt in den
Blick genommen wird und entsprechende Beratungskompetenzen aufgebaut
werden. Hinweise zum Verwischen von digitalen Spuren oder Notausstieg aus
einer Internetseite zum Schutz Betroffener sollen auf den
Internetpräsenzen unseres Schutz- und Hilfesystems in Schleswig-Holstein
zum Standard werden.
Begründung
erfolgt mündlich
Anträge in einfacher oder leichter Sprache
Frauen sollen besser vor Gewalt geschützt werden.
Dazu gehört auch gegen Gewalttaten im Internet zu ermitteln.
Auch dann, wenn der Tatort zunächst nur digital erkennbar ist und unklar ist welche Polizei zuständig ist.
Um hier mehr Klarheit zu schaffen, soll das Bundeskriminalamt eine zentrale Befugnis erhalten.
Diese zentrale Befugnis hat das Bundeskriminalamt bereits im Fall von sexualisierter Gewalt an Kindern im Internet.
Es macht Sinn sich diese Zentralstelle als Vorbild zu nehmen, um auch die Ermittlung bei Gewalt gegen Frauen im Internet zu verbessern.
Das BKA führt dann die Ermittlungen durch. Beim operatives Einschreiten der Polizei wird automatisch an die Landespolizei abgegeben. So ist es jetzt auch bei der sexualisierten Gewalt an Kindern.
Gewalt durch nahestehende Personen wie (Ehe)Partner*innen oder Verwandte bezeichnen wir als häusliche Gewalt.
Häusliche Gewalt geht oft mit sexualisierter Gewalt einher.
Es bleibt häusliche Gewalt, auch wenn diese Gewalt digital hochgeladen und veröffentlicht wird. Sie wird dadurch noch weiter verschlimmert. Aber es bleibt Gewalt durch nahestehende Personen im häuslichen Kontext.
Deshalb muss auch diese häusliche Gewalt im digitalen Raum im Rahmen des Gewalthilfegesetzes verhütet werden.
Ein dritter Punkt in dem Antrag handelt von K.O-Tropfen.
Zu viele Frauen werden auch Zuhause von nahestehenden Personen betäubt und dann vergewaltigt.
Es gibt immer mehr Beispiele, die unter anderem von Journalist*innen aufgedeckt werden.
Wir wollen, dass der Einsatz von Betäubungsmitteln bei Straftaten sich strafverschärfend auswirkt.
Dazu hat Schleswig-Holstein im Juni 2025 eine Bundesratsinitiative unterstützt.
Der Bundestag und die Bundesregierung sind aufgefordert diese Strafrechtsverschärfung schnell umzusetzen.
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Birgit Graf: