| Veranstaltung: | Landesparteitag S-H November 2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 19 Innen + Recht (B) |
| Antragsteller*in: | Leon Bossen (KV Flensburg) |
| Status: | Unterstützer*innen sammeln (Berechtigung: Ausgewählte Gruppen) |
| Angelegt: | 24.10.2025, 23:58 |
Vielfalt leben, Rechte sichern – Schleswig-Holstein als Leuchtturm moderner Minderheitenpolitik
Antragstext
Schleswig-Holstein ist Brückenland – politisch, kulturell und sprachlich. Unsere
anerkannten nationalen Minderheiten – die dänische Minderheit, die friesische
Volksgruppe sowie die deutschen Sinti und Roma – sind integraler Bestandteil
dieses Landes. Sie stehen für kulturelle Tiefe, sprachliche Vielfalt und
demokratische Reife. Ihr verfassungsrechtlicher Schutz ist keine Geste, sondern
Ausdruck einer klaren politischen Verpflichtung. Die Landesverfassung
verpflichtet das Land zum Schutz und zur Förderung der Minderheiten und
Volksgruppen. Damit übernimmt Schleswig-Holstein Verantwortung – nicht nur für
die Wahrung der eigenen Geschichte, sondern für ein demokratisches
Zukunftsmodell, das in Europa Maßstäbe setzt.
Gleichzeitig erleben wir eine neue Zumutung für die demokratische Kultur:
Wachsende rechtspopulistische Bewegungen und ein wiedererstarkender
Nationalismus erzeugen ein Klima der Verunsicherung, delegitimieren
pluralistische Institutionen und schüren Misstrauen gegen Minderheiten. Digitale
Desinformationskampagnen, Angriffe auf Erinnerungskultur und eine gezielte
Verächtlichmachung von Sprachen- und Kulturrechten setzen Minderheitenpolitik
unter neuen Druck. Wo Vielfalt in Frage gestellt und Mehrsprachigkeit als
Problem gerahmt wird, geraten Zugehörigkeit, Sicherheit und Teilhabe von
Minderheiten ins Wanken. Minderheitenpolitik ist daher mehr denn je Friedens-
und Demokratiepolitik: Sie schützt das Recht auf Differenz, sichert Vertrauen
und stärkt den sozialen Zusammenhalt.
Das Besondere an Schleswig-Holstein ist der gewachsene Konsens zwischen Mehrheit
und Minderheiten. Auf der Grundlage der Bonn-Kopenhagener Erklärungen, der
Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und des
Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten ist ein System der
Zusammenarbeit entstanden, das europaweit als vorbildlich gilt. Dieses System
verbindet rechtliche Verankerung, stabile Förderstrukturen, repräsentative
Mitwirkung und eine starke zivilgesellschaftliche Basis. Es zeigt, dass
Minderheitenpolitik kein Sonderthema, sondern ein Prüfstein demokratischer
Kultur ist. Wo Sprachenvielfalt geachtet und kulturelle Identität geschützt
werden, wächst Vertrauen – zwischen Menschen, Regionen und über Grenzen hinweg.
Schleswig-Holstein verfügt über ein dichtes Netz von Institutionen, Initiativen
und Programmen, die den Minderheitenschutz tragen: den Minderheitenbeauftragten
der Landesregierung, beratende Gremien für Dän*innen, Fries*innen und Sinti und
Roma, Sprachen- und Bildungsförderung im Rahmen des Handlungsplans
Sprachenpolitik sowie ein kontinuierliches Monitoring und Berichtswesen. Diese
Strukturen sind Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit und politischer
Verlässlichkeit. Doch gesellschaftliche Realität verändert sich. Migration,
demografischer Wandel und neue Formen digitaler Öffentlichkeit stellen die
Minderheitenpolitik vor neue Aufgaben; rechtspopulistische Mobilisierung
verschärft den Handlungsdruck. Umso wichtiger ist es, die bestehenden Grundlagen
nicht nur zu bewahren, sondern entschlossen weiterzuentwickeln.
Wir GRÜNE Schleswig-Holstein bekennen uns klar und ausdrücklich zu unseren
nationalen Minderheiten. Sie sind keine historische Randnotiz, sondern lebendige
Akteure unseres Gemeinwesens. Ihre Organisationen leisten unersetzliche Arbeit
in Bildung, Medien, Kultur und interkulturellem Dialog. Diese Arbeit braucht
rechtliche Sicherheit und planbare Ressourcen. Wir fordern deshalb, die
Förderung der nationalen Minderheiten auf eine dauerhafte gesetzliche Grundlage
zu stellen. Ein Landesgesetz zur Förderung der nationalen Minderheiten kann die
bisherige Praxis, die sich auf Haushaltsentscheidungen und Verwaltungsabsprachen
stützt, in ein stabiles, transparentes und langfristig verlässliches System
überführen. Es soll festschreiben, dass Kultur, Sprache, Medien und Bildung
nicht bloß Projektgegenstand, sondern dauerhafte Säulen einer pluralen
Gesellschaft sind, und es soll sicherstellen, dass Förderentscheidungen
politisch unabhängig, mehrjährig planbar und evaluierbar bleiben.
Sprache ist Identität – und die Grundlage gleichberechtigter Teilhabe.
Friesisch, Dänisch und Romanes sind Teil der kulturellen DNA Schleswig-
Holsteins. Mehrsprachigkeit ist kein Hindernis, sondern eine Stärke. Wir wollen,
dass sie in allen Lebensbereichen sichtbar und selbstverständlich wird: in
Verwaltung, Bildung, Medien und öffentlicher Kommunikation. Ein konsequenter
nächster Schritt ist, die sprachliche Gleichberechtigung auch im Rechtswesen zu
verankern. Schleswig-Holstein soll daher im Bundesrat eine Initiative zur
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 184 GVG) einbringen, um die
Verwendung aller in Deutschland nach der Europäischen Charta der Regional- oder
Minderheitensprachen anerkannten Minderheitensprachen – ausdrücklich auch
Dänisch, Friesisch und Romanes – in Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Sprache
muss Brücke, nicht Barriere des Rechtsstaats sein.
Ein zentraler Ort gesellschaftlicher Prägung ist die Schule. Wissen über
Geschichte, Gegenwart und Kultur der Minderheiten gehört verbindlich in
Lehrpläne, Schulbücher und Lehrkräftebildung. Schülerinnen und Schüler in
Schleswig-Holstein sollen lernen, dass sie in einem Land leben, in dem Vielfalt
Normalität ist. Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur
Wissensvermittlung über nationale Minderheiten und zum Umgang mit Antiziganismus
sind vollständig und nachhaltig umzusetzen – mit pädagogischer Fortbildung,
qualitätsgesicherten Lehrmaterialien und fächerübergreifenden
Unterrichtskonzepten. Zugleich müssen Minderheitensprachen dort gestärkt werden,
wo sie alltäglich erfahrbar sind: im Unterricht. Mittelfristiges Ziel ist, dass
an jeder Schule in Nordfriesland das Fach Friesisch angeboten werden kann – mit
qualifizierten Lehrkräften, passend gestalteten Curricula und modernen
Lehrmaterialien. Friesischunterricht darf kein Sonderfall, sondern soll
selbstverständlicher Bestandteil der regionalen Bildungslandschaft sein; dafür
braucht es eine Ausbildungsoffensive für friesischsprachige Lehrkräfte,
verbindliche Anrechnungs- und Zulageregelungen sowie eine planvolle
Schulentwicklungsstrategie.
Ein besonderes Augenmerk gilt der Bekämpfung von Antiziganismus. Antiziganismus
ist eine der ältesten und tiefsten Formen von Rassismus in Europa – und auch in
Schleswig-Holstein Realität. Noch immer erleben Sinti und Roma Ausgrenzung,
Misstrauen und strukturelle Benachteiligung. Das Land hat mit der Melde- und
Informationsstelle Antiziganismus einen wichtigen Schritt getan. Jetzt gilt es,
diese Arbeit dauerhaft zu sichern und mit Prävention, Bildung und
Sensibilisierung zu verzahnen. Schleswig-Holstein soll den Nationalen
Aktionsplan gegen Antiziganismus 2022–2030 konsequent mit eigenen Maßnahmen
flankieren: durch verpflichtende Fortbildungen für Verwaltung, Justiz und
Polizei, kommunale Teilhabeprogramme, dauerhafte Förderung der
Selbstorganisationen und gezielte Bildungs- und Kulturinitiativen.
Antiziganismusprävention muss Querschnittsaufgabe werden – mit klaren
Zuständigkeiten, messbaren Zielen und regelmäßiger Berichterstattung.
Der Schutz und die Förderung des Friesischen bedürfen ebenso besonderer
Aufmerksamkeit. Die Sprache ist bedroht – nicht durch offene Ablehnung, sondern
durch schleichendes Vergessen. Wir wollen Programme zur Sprachvermittlung
ausbauen, mehrsprachige Kitas und Schulen fördern, die Ausbildung von
Lehrkräften mit Friesisch-Kompetenz gezielt unterstützen und Medienangebote in
friesischer Sprache stärken. Nur wenn Sprache in der Öffentlichkeit hörbar,
nutzbar und prestigeträchtig bleibt, bleibt sie lebendig.
Schleswig-Holstein kann stolz sein auf sein Modell der Minderheitenpolitik. Es
verbindet Selbstverwaltung, staatliche Verantwortung und gesellschaftliches
Engagement in beispielhafter Weise. Dieses Modell muss aber auch auf Bundesebene
sichtbar und wirksam werden. Minderheitenpolitik ist eine gesamtdeutsche
Aufgabe, die sich nicht auf einzelne Regionen beschränken darf. Deshalb fordern
wir, dass der Landesvorstand sich gegenüber dem Bundesvorstand aktiv dafür
einsetzt, Minderheitenpolitik strukturell in der Partei zu verankern. Ziel ist
die Einrichtung einer Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Minderheitenpolitik oder
eines gleichwertigen bundesweiten Forums, in dem bündnisgrüne Mitglieder,
Abgeordnete und Vertreterinnen und Vertreter der anerkannten Minderheiten
zusammenarbeiten. Ein solches Forum kann Expertise bündeln, programmatische
Impulse geben und dafür sorgen, dass Minderheitenpolitik auf Bundesebene als
Querschnittsthema verstanden wird.
Schleswig-Holstein hat das Wissen, die Erfahrung und das politische Ethos, um
diese Rolle einzunehmen. Kein anderes Bundesland vereint in dieser Form gelebte
Mehrsprachigkeit, institutionelle Stabilität und europäische Vernetzung. Mit
einem klaren rechtlichen Rahmen, nachhaltiger Förderung, einer starken Stimme
auf Bundesebene und dem Mut, Fortschritt gegen populistische Rückschritte zu
verteidigen, kann Schleswig-Holstein Motor einer Minderheitenpolitik sein, die
auf Zukunft zielt: offen, inklusiv, demokratisch. Denn die Stärke einer
Demokratie zeigt sich nicht daran, wie sie ihre Mehrheit schützt, sondern wie
sie mit ihren Minderheiten umgeht.
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